EU-Ministerrat einigt sich auf Allgemeine Ausrichtung zur EU-Strommarktreform

Am 17. Oktober 2023 haben sich die EU-Energieministerinnen und -minister über die Reform des EU-Strommarktes geeinigt („Allgemeine Ausrichtung des EU-Ministerrates“), über deren wesentliche Inhalte wir Sie hiermit informieren. Des Weiteren soll dieser Beitrag das weitere EU-Gesetzgebungsverfahren skizzieren und mit einer Prognose abschließen, wie wahrscheinlich eine Einigung über die Reform noch in dieser Legislaturperiode ist. Der Reformentwurf öffnet durch die Umgestaltung des Strommarktes den Weg hin zu einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Industrie mit dem Ziel berechenbarer und stabiler Energiepreise.

Neben der Überarbeitung maßgeblicher EU-Rechtsvorschriften zum Strommarkt wie der Elektrizitätsverordnung, der Elektrizitätsrichtlinie und der REMIT-Verordnung sowie Ansätzen zum Verbraucherschutz, zur verstärkten Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsbehörden mit der europäischen Energieregulierungsbehörde (ACER) wie auch Transparenzpflichten für Netzbetreiber enthält der EU-Reformentwurf insbesondere folgende Inhalte:

Im Fokus des EU-Reformentwurfs steht das künftige EU-Strommarktdesign, zu dessen Inhalt zunächst Anreize für längerfristige Verträge bei nichtfossiler Energieerzeugung zählen, um der Anfälligkeit der Industrie für starke Preisschwankungen entgegenzuwirken. Der Entwurf sieht dazu Strombezugsverträge (Power Purchase Agreements, PPAs) vor, die den Unternehmen ihre eigene direkte Energieversorgung und somit stabilere Preise für die Stromerzeugung aus erneuerbaren und nichtfossilen Energiequellen in Aussicht stellen. Die Reform enthält zudem eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, marktbasierte Haftungen für PPAs sicherzustellen, um Kreditrisiken von Käufern zu minimieren. Im Rahmen von PPAs besteht derzeit für Energieunternehmen das Risiko, dass Abnehmer möglicherweise nicht in der Lage sind, den Strom während der gesamten Vertragslaufzeit abzukaufen. Um diesem bestehenden Marktrisiko entgegenzuwirken, sieht der Reformentwurf Instrumente zur Verringerung der finanziellen Risiken durch Zahlungsausfälle von Abnehmern (bspw. Garantiesysteme zu Marktpreisen) vor.

Des Weiteren bilden zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference, CfDs) als verbindliches Förderinstrument einen Reformschwerpunkt, die zugleich einen der Hauptstreitpunkte darstellen. Die in der Verordnung in § 19b vorgesehenen CfDs legen den Grundstein für die Reform des EU-Strommarktdesigns. Sie sind als einzig zulässiges Förderinstrument verpflichtend und sollen insbesondere sog. Zufallsgewinne verhindern, die in jüngsten Krisenzeiten Betreibern von Wind- und Solarparks zugefallen waren, während Verbraucher und Industrie den hohen Endpreisen ausgesetzt blieben.

Im Rahmen von CfDs vereinbaren Anlagenbetreiber und Staat einen Fix- bzw. Garantiebetrag für die Vergütung des erzeugten Stroms. Sofern der Anlagenbetreiber bei der Vermarktung des Stroms im Wettbewerb weniger als den vereinbarten Fix- bzw. Garantiepreis erzielt, stockt der Staat den fehlenden Betrag auf. Fällt der Erlös dagegen höher aus, soll der Anlagenbetreiber künftig nicht mehr von den Gewinnen profitieren, sondern diese an den Staat abgeben. Der Staat ist seinerseits verpflichtet, die Einnahmen aus diesem System an die Endkunden weiterzugeben.

Ein zentraler Streitpunkt der Verhandlungen der Mitgliedsstaaten am 17.10.2023 war die Frage, auf welche Technologien die Förderregime (CfDs und PPAs) Anwendung finden. Der Kommissionsentwurf aus März 2023 sieht deren Anwendungsbereich ausschließlich in Investitionen in neue Erzeugungsanlagen für erneuerbare sowie nichtfossile Energien (insb. Atomkraft). Insbesondere Frankreich bestand auf den Einbezug von Bestandsanlagen, um seine derzeit 56 laufenden Atomkraftwerke gleichermaßen profitieren zu lassen. Andere EU-Staaten, insbesondere Deutschland, Österreich und Luxemburg, sprachen sich gegen die Subventionierung französischer Kernkraftwerke aus, da sie befürchten, dass der französische Staat mit den Kraftwerksbetreibern zu geringe Fixpreise aushandeln werde, um der französischen Industrie einen (unfairen) Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Der Kompromiss sieht nunmehr vor, dass die Förderregime einschränkend ausschließlich für Neuanlagen von erneuerbaren und nichtfossilen Energien gelten, die drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung ihren Betrieb aufnehmen. Bestandsanlagen sollen (grundsätzlich) nicht profitieren. Eine Ausnahme, im Nachgang vielfach als französisches „Schlupfloch“ bezeichnet, besteht im Fall der umfassenden Anlagenmodernisierung, unter den viele bestehende französische Kernkraftwerke fallen. Die EU-Kommission soll nun prüfen, ob der Fix- bzw. Garantiepreis zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des EU-Binnenmarktes führt. In jedem Fall müssen die CfD-Preise „so gestaltet sein, dass die Verteilung der Einnahmen an die Unternehmen nicht zu unangemessenen Verzerrungen des Wettbewerbs und Handelns im Binnenmarkt führt“. 

Uneinigkeit der Mitgliedstaaten herrschte zudem in Bezug auf die Kapazitätsmechanismen. Insbesondere Polen verhandelte um eine Finanzierung der landeseigenen Kohlekraftwerke, da die bestehende EU-Regulatorik Kohlekraftwerke aufgrund von strengen CO2-Emissionsgrenzwerten faktisch von den Kapazitätsmärkten ausschließt. Diesbezüglich enthält der Kompromissvorschlag nun die folgende Ausnahme: Die EU-Kommission soll nach Abwägung zwischen Angemessenheit und Auswirkung auf die Treibhausgasemissionen eine Genehmigung für die Finanzierung von Kohlekraftwerken, die vor 2019 in Betrieb waren, über den Kapazitätsmechanismus zeitlich befristet bis 2028 erteilen können. Diese Kohleblöcke dürfen dann auch mehr als 550g CO2/kWh ausstoßen.

Die allgemeine Ausrichtung des Ministerrates, zu der ein neugeschaffenes Recht auf Energy Sharing für private Haushalte wie SME’s ebenso gehört wie eine (vom europäischen Händler-Verband stark kritisierte) Hedging-Pflicht für Energiehändler, ist ein wichtiger Beschleunigungsschritt im EU-Gesetzgebungsverfahren. Diese wird nun als Option einer vorgezogenen und schnellen Einigung an das EU-Parlament übermittelt. Die allgemeine Ausrichtung ist eine der 1. Lesung vorgelagerte politische Einigung im Rat, mit der dieser dem Parlament seinen Standpunkt zum Gesetzesvorschlag unterbreitet. Sie dient der Verfahrensbeschleunigung mit dem Ziel, dass das Parlament den Standpunkt des Rates direkt (mit-)verhandeln und über diesen entscheiden kann. Stimmt das Parlament dem Standpunkt des Rates zu, wird der Rechtsakt erlassen. Ergeben sich dagegen unterschiedliche Standpunkte können zur Vermittlung zunächst (informelle) Trilog-Verhandlungen abgehalten werden. Lehnt das Parlament den Standpunkt des Rates ab, scheitert der Rechtsakt. Schlägt das Parlament seinerseits Abänderungen vor und scheitern Trilog-Verhandlungen hierüber, übermittelt es diese dem Rat zur zweiten Lesung. Bleibt die Uneinigkeit, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen.

Dem vorläufigen Standpunkt des EU-Parlaments vom 14.09.2023 ist zu entnehmen, dass zeitnahe (informelle) Trilog-Verhandlungen zu erwarten sind, da das EU-Parlament in den wesentlichen Fragen nicht mit der allgemeinen Ausrichtung des Rates übereinstimmt. Bereits im Juli 2023 schränkte der Industrieausschuss die Subventionen für die Kernkraftindustrie im Kommissionsvorschlag stark ein. Eine „Sonderstellung“ der Kernkraft in Markt und Wettbewerb lehnt das EU-Parlament auf der abgestimmten Grundlage des Industrieausschlusses genauso ab wie eine Finanzierung der polnischen Kohle über Kapazitätsmechanismen. Ob das EU-Parlament die beiden diesbezüglichen Kompromissvorschläge des Rates billigen wird, bleibt abzuwarten. Namhafte Grüne haben bereits öffentlich erklärt, dass sie gemeinsam mit anderen Europaparlamentariern die Klauseln zu polnischen Kohlekraftwerken und zu CfDs für bestehende Kernkraftwerke kippen wollen.

Das durchschnittliche EU-Gesetzgebungsverfahren dauert ca. 19 Monate. Die beschlossene allgemeine Ausrichtung lässt eine schnellere Einigung und insbesondere die Vermeidung einer zweiten und dritten Lesung vermuten. Sofern sich Parlament und Rat jedoch nicht einigen, ist das Durchlaufen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens mit zeitlicher Verzögerung der EU-Strommarktreform nicht ausgeschlossen. Vor allem Frankreich plädiert dafür, die Reform bis Ende diesen Jahres zu beschließen bzw. eine Einigung zumindest vor den Europawahlen am 06. bis 09.06.2024 zu erzielen, während Deutschland (insb. das BMWK) sich wegen der weitgehenden Markteingriffe dagegen ausspricht. Konsequenz des Abwartens bis nach den Wahlen wäre, dass die EU-Strommarktreform auf einen viel späteren Zeitpunkt, nämlich erst nach Neueinrichtung der Institutionen im Jahr 2024, verschoben würde. Die Industrie benötigt jedoch wegen des Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Binnenmarkts, fehlender Investitionssicherheit und drohender Standortverlagerungen eine schnelle und zugleich gründlich ausgearbeitete Strommarktreform.

Im Laufe des EU-Gesetzgebungsverfahrens ist mit weiteren Änderungen zu rechnen. Auch nach Verabschiedung der EU-Strommarktreform wird die Umsetzung eine echte Herausforderung für Industrie und Verbraucher. Diese werden wir natürlich beobachten und Sie hierüber informieren.

Gerne stehen Ihnen für Rückfragen Herr Dr. Peter Rosin, Frau Jana Michaelis und Frau Katrin Ibrom zur Verfügung.

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