Webinar vom 15. Februar 2022

Die Konsequenzen steigender Energiepreise für die Grundversorger

Webinar der Energierechtskanzlei Rosin Büdenbender // Februar 2022 

Jeder Verbraucher spürt es – es geht uns alle an: Die Energiepreise steigen so stark wie lange nicht. Entspannung ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht – auch und gerade wegen der aktuellen geopolitischen Lage sowie der Entwicklungen nach dem Wiederanfahren der Wirtschaft im Anschluss an die Corona-Pandemie – national und international.

Auf Einladung der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Rosin Büdenbender fand am 15. Februar 2022 eine Online-Diskussion mit über 100 Teilnehmern zum Thema steigende Energiepreise und die Folgen für die Grundversorger statt, die die unterschiedlichen Interessenvertreter zusammenbrachte – Verbraucherschützer, Energieversorger, NRW-Landesregierung, Vertreter kommunaler Unternehmen und Energierechtsexperten der Essener Kanzlei.

In Deutschland richten sich die Scheinwerfer aktuell auf diejenigen Stromanbieter, die in den letzten Monaten aufgrund einer sehr kurzfristig und nicht termingesicherten Einkaufspolitik Kunden mit Billigtarifen gelockt und dann bei den zuletzt massiv gestiegenen Preisen abgestoßen haben. Auffangen mussten diese Kunden dann die örtlichen Grundversorger – die nun in ein Spannungsverhältnis zwischen Bestandsund Neukunden geraten sind und die folgenden Fragen lösen müssen: Hohe Preise für die Neuen? Oder sind die aufgrund der Kundenzugänge erhöhten Beschaffungspreise auf alle Kunden in der Grundversorgung umzulegen? Wie lange bleiben die neuen Kunden? Wie lange hält die Situation an? Was stehen für Kosten ins Haus für Strom oder Gas, das spontan beschafft werden muss, um alle Kunden – neu und alt – verlässlich zu versorgen? Erste Gerichtsurteile haben Grundversorgern bereits untersagt, von Neukunden in der Grundversorgung höhere Preise zu verlangen als von Bestandskunden.

Diese Spannungen sind jedoch nur ein Anfang. Denn EU-weit und auch in Deutschland stehen die Preissignale für Energie auf Grund der Energiewende vor allem auf Anstieg. Entsprechend werden die Rufe nach staatlicher Hilfe lauter. Die Teuerungsrate – direkt mit den steigenden Energiepreisen verbunden – bleibt hoch, die Diskussion zu Inflation und steigenden Energiepreisen ist unter dem Stichwort „Greenflation“ im Zentrum der Politik angekommen. Die Unionsfraktion fordert eine „Energiepreisbremse“ mit umfassenden Entlastungen für Verbraucher; Ökonomen schlagen temporäre Preisdeckel für einen „Gas-Grundbedarf“ vor; Heizkostenzuschüsse für einige Gruppen sind beschlossene Sache; Regierungen in unseren EU-Nachbarstaaten haben mit Maßnahmen zur Entlastung der Verbraucher reagiert. Auch in Deutschland verspricht der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner nun, dass „die Bundesregierung die Bevölkerung mit der steigenden Inflation nicht alleine lassen“ wird.

Grundsätzlich sind Haushalte mit niedrigem Einkommen in besonderem Maße von einem Anstieg der Inflation und insbesondere der Energiepreise betroffen. Die Verbraucher sind mit erheblichen Zusatzkosten konfrontiert, die sie so nicht einplanen konnten. Und: Noch haben die Verbraucher die wesentlichen Abrechnungen bei Strom 2 und Gas für das Jahr 2021 nicht erhalten, noch sind nicht alle gestiegenen Vorauszahlungswünsche der Versorger eingegangen. Das Thema wird also hoch umstritten bleiben.

Ein veränderter Rohstoffzyklus auf Grund der klimapolitischen Anstrengungen und sinkender Investitionen in fossile Energien, die steigenden CO2-Preise und nicht zuletzt Veränderungen im regulierten Energiegeschäft: Der Energiemarkt ist durcheinandergeraten. Zu den Klagen gegen die Grundversorger liegen erste unterschiedliche Gerichtsurteile vor, die Positionen sind aber noch nicht klar definiert. Ist es für Unternehmen zulässig, zwischen Neukunden und Bestandskunden zu unterscheiden? Sind gespaltene Preise zumutbar?

Das Webinar der Essener Kanzlei Rosin Büdenbender legte die unterschiedlichen Positionen in der Gesellschaft offen und ermittelte Lösungsansätze für die Zukunft.

Kernaussagen zu der Grundversorgung:

Gabriele Krater, Referatsleiterin Energie(Kartell-)recht, NRW-Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, erklärte: „Gespaltene Grundversorgungstarife sind grundsätzlich zulässig. Die Landeskartellbehörde NRW wird die dynamische Entwicklung der Großhandelspreise und der Grundversorgungstarife sowie den Angebotsmarkt beobachten. Am Ende dieser Heiz- und Abrechnungsperiode wird eine Marktuntersuchung aufzeigen, ob Missbräuche bei den Grundversorgungstarifen aufgetreten sind. Hierbei sind die konkreten Umstände jedes Einzelfalles zu prüfen.“

Holger Schneidewindt, Energierechtsexperte der Verbraucherzentrale NRW, betonte: „Bestandskunden und Neukunden sind gleichermaßen schützenswerte Kunden. Die Spaltung der Grundversorgungstarife ist unseres Erachtens ein eindeutiger Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften. Die Mondpreise vieler Versorger sind keine Gewährleistung, sondern vielmehr eine Verweigerung der Grundversorgung.“

Dr. Andreas Zuber, Geschäftsführer Abteilung Recht, Finanzen und Steuern, Verband kommunaler Unternehmen (VKU) fragte grundsätzlich: „Was wird eigentlich gegen die getan, die diese Situation verursacht haben?“

Andreas Seifert, Stv. Abteilungsleiter Recht, Finanzen und Steuern, Bereichsleiter Recht, VKU, verteidigte die Preisspaltung der Grundversorger: „Die Grundversorger haben ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt und alle von anderen Lieferanten vor die Tür gesetzten Kunden von heute auf morgen uneingeschränkt mit Strom und Gas versorgt. Bei der Preisbildung mussten sie aber die aufgrund der weltweiten Energiekrise drastisch gestiegenen Beschaffungspreise zu Grunde legen. Anderenfalls hätten ihre Bestandskunden für das Marktversagen von Energie-Discountern einstehen müssen. Das wäre aber weder rechtlich noch sozial zu rechtfertigen gewesen.“

Weiter führte er aus: „Unabhängig von der abschließenden rechtlichen Klärung der Zulässigkeit gespaltener Preise muss es aber nun zunächst im Interesse Aller liegen, 3 dafür zu sorgen, dass eine Wiederholung der Ereignisse aus November/Dezember 2021 durch zielgerichtete gesetzliche Maßnahmen, wie die Trennung der Grund- von der Ersatzversorgung und eine Optimierung der Marktaufsicht über Energielieferanten, künftig ausgeschlossen wird. Einer Debatte über die Struktur des deutschen Energiemarktes bedarf es dabei nicht. Dieser hat sich im Wettbewerb bewährt. Nur die schwarzen Schafe müssen besser beobachtet und rechtzeitig von der Weide geholt werden.“

Dr. Bernd-Michael Zinow, Leiter Recht, Revision, Compliance und Regulierung, EnBW erläuterte: „Eine Preisspaltung ist zulässig, darf aber nicht willkürlich sein. Und nicht alles, was zulässig ist, muss auch gemacht werden.“ Darum habe EnBW bei den Vorkommnissen rund um den Jahreswechsel für Neukunden keine erhöhten Preise angesetzt. Weiter erläuterte er: „Wir haben unsere neuen Kunden versorgt, ohne die Energiemengen, die wir plötzlich brauchten, vorher beschaffen zu können. Diese Krise dauert an – die Preise auf den Großhandelsmärkten sind nach wie vor hoch. Das „Abwerfen“ von Kunden durch manche Anbieter ist rechtswidrig. Indem wir die Versorgung der betroffenen Kunden sichern, nehmen wir das Geschäft dieser Anbieter wahr – das ist ein erheblicher Mehraufwand. Wir brauchen eine zügige Regelung, denn potentielle Nachahmer sind noch im Markt.“

Prof. Dr. Michael Bartsch, Rechtsanwalt, Rosin Büdenbender, und Ko-Moderator des Webinars: „Die Welt ist durcheinandergeraten. Die Diskussion entzündet sich an den Grundversorgern, die als Rettungssystem fungiert haben. Aber: wer hat eigentlich Schuld an der Situation, in der wir uns befinden? Sind es die Discounter, die ihre Kunden abwerfen, die Grundversorger mit ihrem Preisverhalten oder ist es das versagende Rechtssystem?“

Prof. Dr. Ulrich Büdenbender, Rechtsanwalt, Rosin Büdenbender: „Wir stehen vor einer Situation, die es so noch nicht gegeben hat und die nicht vorhersehbar war. Auch im Gesetz gibt es keine expliziten Hinweise zum Thema Tarifspaltung. Ich neige dazu, dass die Preisspaltung unzulässig ist.“

Das erkläre sich folgendermaßen: „Die Ansprüche jedes Haushaltskunden auf Grundund Ersatzversorgung nach Rückkehr von einem Wettbewerber dienen dem Schutz vor nachteiligen Folgen aus einem Wechsel der Kunden zu einem Wettbewerber. Dieser Normzweck steht einer Tarifspaltung zulasten der Neukunden des Grundversorgers entgegen.“

Weiter erklärte er: „Die Neukunden sind definitiv keine homogene Gruppe – nicht alle stammen aus den aufgelösten Verträgen mit Energiediscountern. Denkbar wäre also, den Neukunden Einheitstarife mit zumutbaren Konditionen anzubieten. Wichtig hierbei ist es, die Grundversorger vor nicht zumutbaren Mehraufwendungen zu schützen. Führt eine Anwendung des Grundversorgungstarifs für zurückkehrende Kunden zur wirtschaftlichen Unzumutbarkeit für den Grundversoger, können die Kunden diesen Einwand durch Zusatzzahlungen über den Grundversorgungstarif hinaus ausschließen.“

Dr. Peter Rosin, Rechtsanwalt, Rosin Büdenbender, stellte klar: „Viele Kunden, insbesondere auch Geschäftskunden, werden durch das Vorgehen der Discounter finanziell heftig getroffen. Sie zahlen jetzt teilweise den fünffachen Preis. Kunden sollten Schadensersatzansprüche prüfen lassen und diese, soweit sinnvoll, auch geltend machen. Alleine schon, um Druck auf diese Unternehmen auszuüben.

Teilweise scheinen insbesondere einige Insolvenzen von Lieferanten aber auch durchaus langfristig vorbereitet, so dass Kunden ihre Forderungen dann nur zur Tabelle werden anmelden können. Hier ist ein neues gesetzliches Regime dringend geboten, um solchen Praktiken im Strommarkt besser begegnen zu können.“

Christina Will, Rechtsanwältin, Rosin Büdenbender, ergänzte als eine der KoModeratoren: „Für viele Betroffene ist der Preis für Strom und Gas, den sie jetzt zu zahlen haben, eine ganz existentielle Frage. Und diese stellt sich nicht nur für betroffene Verbraucher, sondern auch für eine Vielzahl von Unternehmen, deren Energieversorgung plötzlich beendet bzw. drastisch teurer wurde. Auf der einen Seite sehen wir Anbieter, die plötzlich entscheiden, aus dem Markt zu gehen und Kunden an die Grundversorger übergeben; auf der anderen Seite sehen wir wesentlich höhere Beschaffungskosten als noch vor einigen Monaten. Auch wir Juristen befinden uns in einem Graubereich: eine neue Situation mit neuen Fragen und bislang sehr unterschiedlichen Entscheidungen der befassten Gerichte.“

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