Wasserstoff-Hochlauf: „Schnelligkeit ist das oberste Gebot“

Webinar Teil 2

20. Juni 2024

Zum zweiten Teil des Webinars „Der Hochlauf des Wasserstoffmarktes – Highway oder Stolperstrecke“ lud die auf Energierecht spezialisierte Kanzlei Rosin Büdenbender am 20. Juni 2024 ein.

„Highway oder Stolperstrecke? Man kann es gar nicht pauschal beantworten, das Ganze ist ein sehr gespaltenes Bild mit vielen Einzelfragen,“ so Dr. Peter Rosin, Gesellschafter von Rosin Büdenbender. Die nationale Carbon Management Strategie (CMS) und der Entwurf zur Novellierung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) wurden von Friederike Beck-Broichsitter und Dr. Peter Rosin, Rosin Büdenbender, analysiert und dargestellt.

Friederike Beck-Broichsitter verwies darauf, dass man bei den öffentlich-rechtlichen Themen im Zusammenhang mit Carbon Capture and Storage („CCS“) viele Strukturen aus anderen Gesetzen wiedererkenne: „Das Rad wurde hier nicht neu erfunden“. Insbesondere die Regelung, solche Vorhaben (CCS-Leitungsvorhaben) vorrangig zu behandeln, sei schwach ausgestaltet und ein „zahnloser Tiger“. Zum KSpG führte sie aus: „Es ist für seine Anwender durch seine zahlreichen Verweise schwer zu lesen und verstrickt sich in viele Detailregelungen. Einfacher wäre ein Gesetz für die Anwendung anstelle vieler Verweise in bestehende Gesetze gewesen.“

Jens Geier, Mitglied des Europäischen Parlaments und in der vergangenen Legislaturperiode Berichterstatter u.a. zum Thema Wasserstoff, zeigte auf, welche europapolitischen Eckpunkte des Gaspakets, verhandelt wurden. Er appellierte an alle: „Die Wasserstoffsysteme müssen gesamtheitlich gedacht werden!“. Zum Trilogverfahren zwischen EU-Parlament, Ministerrat und EU-Kommission könne er allen auch beim Thema Wasserstoff mit auf den Weg geben: „Die Lösungen suchen sich ihre Mehrheiten, am Ende läuft es auf einen Kompromisstext hinaus.“ Geier weiter: „Die Kommission hatte in ihrem Entwurf zunächst eine Hochlaufidee entwickelt, die nichts mit der europäischen Praxis und der Marktentwicklung von Wasserstoff in den Mitgliedsstaaten zu tun hatte. Wir haben schnell gemerkt, dass auf Industrieseite keine Unterstützung zu sehen war und daher den politischen Diskurs in die richtige Richtung gesteuert. Dadurch konnten wir viele Themen aus der Praxis aufnehmen.“

Das Thema Import werde nicht zu unterschätzen sein. „Wir brauchen die Pipeline-Infrastruktur“, führte er aus. „Aber so wie Produktionskapazität und Nachfrage entsteht, so brauchen wir auch Pipeline-Bauer.“ Politik und Wirtschaft müssten hier zusammenarbeiten. Er versprach, dem Thema Wasserstoff verbunden zu bleiben und sich weiter auf europäischer Ebene einzubringen.

Vor den über 100 Teilnehmern sprach Silke Sänger, LL.M, Senior Legal Counsel bei der RWE Generation SE, über die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung: den Bau von Gaskraftwerken und der Verfügbarkeit der dafür benötigten Brennstoffe. Mit Blick auf den Willen der Bundesregierung, bis zum Sommer 2024 einen Konsens über den Kapazitätsmechanismus zu erzielen und die ersten Ausschreibungen noch 2024 durchzuführen – einen Zeitplan, den sie als “sportlich” bezeichnete – mahnte sie: “Schnelligkeit ist das oberste Gebot. Wir brauchen Investitionssicherheit, um die H2-Ready-Kraftwerke in die Ausschreibung zu bringen. Wir müssen wissen, dass sich das lohnt.” Derzeit sei das aber nicht der Fall.

Sie fächerte Fragen auf, mit denen sich die Branche beschäftigen muss: “Wir als RWE sind bereit für den Kraftwerksbau, aber uns stellen sich viele Einzelfragen: Was genau bedeutet eigentlich H2-Ready? Welche Rolle wird die Systemdienlichkeit spielen? Wie findet die Vergütung in H2-Ready-Systemen statt? Werden neue Grenzwerte für H2-Ready auf Genehmigungsseite festgelegt? Ab wann müssen überhaupt die Gaskraftwerke umgestellt werden? Und zum Schluss stellte Frau Sänger die essentielle Frage, die wohl viele derzeit im Bereich H2-Ready umtreibt: Werden wir überhaupt genug Wasserstoff haben?“

Ulrich Ronnacker, Senior Legal Counsel bei Open Grid Europe GmbH, sprach zur integrierten (Gas-)Systemplanung. Die Gasnetzplanung erfolge zukünftig gemeinsam für die Erdgasfernleitungs- und die Wasserstofftransportnetze, und dies zeitlich im Einklang mit den Netzentwicklungsplänen der Strom-Übertragungsnetzbetreiber. Eine zentrale koordinierende Rolle bei der Erstellung des Szenariorahmens und des Netzentwicklungsplanes nehme zukünftig die neue Koordinierungsstelle NEP ein.

Schon bei der Erarbeitung des Szenariorahmens seien zukünftig die Systementwicklungsstrategie und die Wärme- und Transformationspläne angemessen zu berücksichtigen. Mit der gesetzlichen Neuregelung habe Deutschland bereits vorausschauend Regelungen des Gas- und Dekarbonisierungspaketes der EU umgesetzt.

Aus Sicht der Speicherbetreiber sprach Michael Kohl, Kaufmännischer Geschäftsführer der RWE Gas Storage West GmbH: „Es gibt wenig vergleichbare Projekte, die so weit fortgeschritten sind wie unsere Projekte. Daher tauchen bei uns wahrscheinlich auch die meisten Fragen zu Wasserstoff auf.“ „H2-Speicher müssen sehr zeitnah in das Gesamtsystem integriert werden,“ erläuterte er und führte aus: „Neben der möglichst frühzeitigen Umsetzung der Gas Directive in nationales Recht ist auch die Frage der zukünftig geltenden Preisregelungen für H2-Speicher baldmöglichst zu entscheiden, um Investitionen in Wasserstoffspeicherprojekte den richtigen Anreiz zu geben!“

Dr. Stefan Nykamp, Leiter Spezialservice Gas der Westnetz GmbH, sprach zur Transformation im Gas(verteil-)netz. „Industrie- und Gewerbekunden brauchen für die Wasserstoffversorgung die Verteilnetze, an denen sie auch heute angeschlossen sind.“ Die Berücksichtigung der Gasverteilnetze in einer gesamtheitlichen Systembetrachtung sei ein „Muss“.

„Technisch ist die Umstellung auf Wasserstoff und auch der Neubau von Wasserstoffinfrastruktur heute möglich – wie aktuelle Projekte bereits zeigen.“ Unbenommen davon bleibe die integrierte Planung, die auch Stilllegungen für „Haushaltsnetze“ bedeuten könne.

In seiner Zusammenfassung beider Webinarteile war Dr. Peter Rosin der Ansicht, es zeichne sich beim Thema Wasserstoff ein gespaltenes Bild ab. Es gäbe eine ganze Reihe fundamentaler Fragen, die noch zu klären seien, z.B. beim Thema Erzeugung. Im Ausland würden schon jetzt mehr Projekte in die Praxis umgesetzt.

Für Rückfragen stehen Ihnen Dr. Peter Rosin und Friederike Beck-Broichsitter von Rosin Büdenbender gerne zur Verfügung.