§ 273a ZPO normiert Möglichkeit der Geheimhaltung von Informationen in Zivilverfahren

Wie soll in Gerichtsverfahren mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen umgegangen werden?

3. Dezember 2025

Immer wieder stellt sich in Gerichtsverfahren die Frage, wie man mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen umgeht. In die ZPO wurde insoweit im April eine neue Norm aufgenommen, die wir nachfolgend kurz erläutern:

Teil des jüngst erlassenen Justizstandort-Stärkungsgesetzes ist ein weitergehender Schutz von Informationen im Zivilprozess. In systematischer Hinsicht wird durch § 273a ZPO der Anwendungsbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) auf sämtliche zivilrechtliche Streitigkeiten erweitert. Der bisherige prozessrechtliche Anwendungsbereich des Gesetzes war auf Verfahren in Geschäftsgeheimnisstreitsachen beschränkt, d.h. auf Klagen, mit denen spezielle Ansprüche der §§ 6 ff. GeschGehG geltend gemacht wurden. Der Schutz der Geschäftsgeheimnisse nach dem GeschGehG war somit nicht umfassend angelegt.

Die daneben bestehenden Möglichkeiten zur Einschränkung der Öffentlichkeit aus §§ 172 f. GVG werden in der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 374/23, S. 30 f.) als unzureichend bewertet. Dabei sind die wesentlichen Hürden des öffentlichen Zivilprozesses ausdrücklich genannt:

  • Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf ein nichtöffentliches Verfahren;
  • die Schutznormen betreffen lediglich die mündliche Verhandlung;
  • kein Schutz vor in der Verhandlung erlangten Kenntnisse.

Ergebnis ist ein prozessuales Dilemma für die betroffenen Geheimnisträger. Das berechtigte Interesse an der Zurückhaltung von Informationen steht einer vollumfänglichen Prozess- und Beweisführung entgegen. Um dieses Problem der faktischen Abwägung in der Prozessführung abzuwenden, wird mit der Novelle ein zeitlich und prozessual ganzheitlicher Schutzansatz verfolgt.

Für den Schutz einer Information ist es gemäß des neuen § 273a ZPO bereits ausreichend, wenn die Information potenziell ein Geschäftsgeheimnis darstellen kann. Maßstab für die Bewertung ist der Begriff des Geschäftsgeheimnisses gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG. Neben den materiellen Voraussetzungen bewertet das Gericht somit, ob für die im Antrag benannte Information ein berechtigtes Interesse an der der Geheimhaltung besteht, § 2 Nr. 1c GeschGehG.

Wird eine Information durch das Gericht als potenzielles Geschäftsgeheimnis bewertet, obliegt die Einstufung als Geschäftsgeheimnis einer weiteren Ermessensentscheidung des Gerichts. Folge der Einstufung ist die entsprechende Anwendung der §§ 16 bis 20 des Geschäftsgeheimnisgesetzes. Damit wird eine besondere Verschwiegenheitspflicht weiterer Prozessbeteiligter – § 16 Abs. 2 GeschGehG – und die Möglichkeit von Schwärzungen bei einer etwaigen Akteneinsicht – § 16 Abs. 3 GeschGehG – begründet. Die Verschwiegenheitspflicht endet nicht mit dem Prozess, sondern wirkt auch über den Abschluss des Verfahrens hinaus, § 18 S. 1 GeschGehG. Zusätzlich ist eine Beschränkung der Informationseinsicht auf bestimmte zuverlässige Personen und ein Ausschluss der Öffentlichkeit möglich, § 19 GeschGehG.

Diese Entscheidungen des Gerichts stehen der sofortigen Beschwerde offen, § 20 Abs. 5 S. 5 GeschGehG.

Die Entscheidung für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des GeschGehG auf alle zivilrechtlichen Verfahren gründet auf dem übergeordneten Ziel der Stärkung der ordentlichen Gerichte als Justizstandorte. Damit soll auf die Verfahrensverlagerungen in andere Rechtsordnungen und private Schiedsgerichte reagiert werden.

Das Interesse an der Geheimhaltung steht vor staatlichen Gerichten häufig mit den geltenden Prozessmaximen – insbesondere dem Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens i.S.d. § 169 Abs. 1 S. 1 GVG – in Konflikt. Die Einführung des § 273a ZPO stellt bei isolierter Betrachtung zwar eine Wertentscheidung zulasten des Öffentlichkeitsgrundsatzes dar. Im Hinblick auf den Zivilprozess als zusammenhängendes Gefüge kann darin aber nur eine Stärkung der Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses gesehen werden. Die Prozessmaximen entfalten grundsätzlich erst durch die Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichte ihre bezweckte Wirkung. Durch die Verlagerung der Streitbeilegung vor die privaten Schiedsgerichte findet jedoch die Einbindung der Prozessmaximen in das Verfahren gerade nicht statt. Ergebnis ist ein im wesentlichen privater Prozess ohne Öffentlichkeitsbeteiligung.

Durch die gesteigerte Geheimhaltung vor den Zivilgerichten findet damit eine Annäherung an die Verfahrensführung vor privaten Schiedsgerichten statt. Damit stehen die Verfahrensarten im Hinblick auf die Geheimhaltung nicht mehr in einem vollständigen Gegensatz zueinander. Dies wird insbesondere dem Gepräge der internationalen Privatwirtschaft gerecht. Informationen sind nicht mehr schlichtes Beiwerk zu einem Produkt, sondern sind häufig einziges und zentrales wirtschaftliches Gut eines Unternehmens. Damit gehen auch höheren Anforderungen an die Geheimhaltung im Zivilprozess einher. Diesem Faktum wird der Gesetzgeber durch die Einführung des § 273a ZPO auch bei der Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichte gerecht.

Ob dies zu einer (Rück-)Verlagerung von Streitigkeiten zu den ordentlichen Gerichten führt ist dennoch aus folgenden Gründen fraglich:

  • Die neuen Schutzmechanismen sind informationsbezogen, damit kann – im Gegensatz zur Schiedsgerichtsbarkeit – nicht die Existenz der Rechtsstreitigkeit selbst der öffentlichen Wahrnehmung entzogen werden.
  • Auch kann der gegnerischen Partei nicht vollständig der Zugang zu den Geschäftsgeheimnissen verwehrt werden, vgl. § 19 Abs. 1 GeschGehG.
  • Die Entscheidung zur Geheimhaltung bedarf der positiven Feststellung des Gerichts, und damit der vorherigen Begründung. Im Gegensatz dazu ist im Schiedsverfahren die Vertraulichkeit bereits im Verfahren implementiert.
  • Die Rechtspflicht der Gerichte zur Publikation veröffentlichungswürdiger Entscheidungen wird durch die Novelle nicht tangiert
  • Im Falle eines Verstoßes beschränken sich die Konsequenzen auf die Ordnungsmittel des § 17 GeschGehG, ein Rückgriff die strafrechtlichen Konsequenzen des § 23 GeschGehG bleibt aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 273a ZPO verwehrt.

Darüber hinaus ist die Einführung des § 273a ZPO auch im Zusammenhang mit dem gesamten Justizstandort-Stärkungsgesetz zu sehen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen steht neben weiteren Regelungen die das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten – für große (internationale) Wirtschaftsstreitigkeiten – attraktiver machen sollen. Die Einführung von Commercial-Courts und Englisch als Gerichtssprache sind demnach weitere Einzelmaßnahmen, die als Paket den Justizstandort Deutschland stärken sollen.  Jedoch können die Parteien im Schiedsverfahren den Ablauf des Verfahrens privatautonom auf die konkreten Bedürfnisse zuschneiden. Gerade diese fehlende Flexibilität staatlicher Gerichtsverfahren wird nicht durch das Konvolut von Einzelmaßnahmen des Justizstandort-Stärkungsgesetzes tangiert.

Mit der Novelle öffnet sich die ordentliche Gerichtsbarkeit den Anforderungen des internationalen Wirtschaftsverkehrs. Ob damit auch der bezweckte Erfolg einer vermehrten Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichtsbarkeit bewirkt wird, ist abzuwarten. Im Ergebnis bieten private Schiedsgerichte dennoch eine in der Breite attraktivere Basis für die Beilegung von internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten. Jedenfalls wird durch die Novelle die Attraktivität der deutschen Gerichtsbarkeit gegenüber der Streitbeilegung in anderen staatlichen Rechtsordnungen gesteigert. In dieser Hinsicht vermag die Reform somit den Justizstandort Deutschland zu stärken.

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Dr. Peter Rosin

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Christina Will

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